Sperrfrist: 08.09.2025 05:00
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Bonn/Berlin (ots) - Im internationalen Vergleich schneiden Leistungsschwache in
Deutschland im Lesen besonders schlecht ab - doch die Bundesregierung lässt das
zentrale Förderprogramm für Alphabetisierung und Grundbildung fallen.
Mitten im demographischen Wandel und trotz Arbeitskräftemangels in vielen
Branchen übergeht die Regierungskoalition eine Bevölkerungsgruppe, die mit
Nachqualifizierung den Einstieg in den Arbeitsmarkt oder den Umstieg in Jobs mit
Zukunft schaffen könnte: Menschen mit sehr geringen Grundkenntnissen,
insbesondere in der Schriftsprache und in Alltagsmathematik. Und das sind Viele,
wie die jüngste PIAAC-Studie der OECD zeigt. In Deutschland vergrößert sich die
Kluft zwischen gering und hoch qualifizierten Erwachsenen immer weiter. Zwar
liegt der Anteil von Personen mit hohen Lese- und alltagsmathematischen
Kompetenzen über dem internationalen Durchschnitt der 30 Teilnehmerländer. Doch
weisen die leistungsschwächsten 10 Prozent der Bevölkerung Deutschlands im
internationalen Vergleich auffallend geringe Lesekompetenzen auf. Diese Personen
sind lediglich in der Lage, einzelne Sätze und sehr kurze, einfache Texte zu
lesen. Zwei Drittel der Personen mit Hauptschulabschluss haben nur geringe
Lesekenntnisse.
Noch alarmierender stellt sich die Lage dar, wenn neben den Lesekenntnissen auch
die Schreibkenntnisse Erwachsener in den Blick genommen werden. Die
Bildungsforscherin Anke Grotlüschen von der Universität Hamburg beziffert den
Anteil der Personen mit zu geringer Schriftsprachkompetenz weiterhin auf 20
Prozent. Bildungsniveau und soziale Herkunft beeinflussen die Bildungschancen,
gering Gebildete drohen abgehängt zu werden.
Die OECD-Studie deutet auch darauf hin, dass mangelnde Literalität ein Risiko
für die repräsentative Demokratie in Deutschland darstellt: Im Vergleich zu
Personen mit höheren Kompetenzen glauben anteilig deutlich weniger Menschen mit
geringen Kompetenzen, politisch Einfluss nehmen zu können.
Umso bedenklicher ist es aus Sicht des Deutschen Volkshochschul-Verbands (DVV),
dass die Bundesregierung sich aus der Förderung für Menschen mit Nachholbedarf
bei grundlegenden Kompetenzen zurückzieht. Die "Nationale Dekade für
Alphabetisierung und Grundbildung", eine bedeutende Bund-Länder-Initiative, die
seit 2016 Menschen mit schlechten Lese- und Schreibkenntnissen, mangelnden
Kenntnissen im elementaren Rechnen und Problemen in anderen grundlegenden
Wissensbereichen beim Lernen unterstützt, endet im kommenden Jahr. Eine
Fortsetzung ist derzeit nicht in Sicht. "Das ist volkswirtschaftlich und
gesellschaftspolitisch gleichermaßen untragbar", sagt Julia von Westerholt,
Direktorin des Deutschen Volkshochschul-Verbands. "Mit Blick auf die mittel- und
langfristigen Entwicklungen am Arbeitsmarkt können wir es uns nicht leisten, so
viele Menschen einfach abzuschreiben. Und als Gesellschaft dürfen wir uns nicht
damit abfinden, dass jede*r zehnte Erwachsene aufgrund mangelnder Grundbildung
nur eingeschränkt am politischen und kulturellen Leben teilhaben kann."
Am heutigen Weltalphabetisierungstag ruft der Deutsche Volkshochschul-Verband
die Bundespolitik auf, mit einer energischen Initiative an die Alphadekade
anzuschließen.
Die Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung hat wichtige
Voraussetzungen für den nachholenden Erwerb von Lese- und Schreibkenntnissen und
anderen grundlegenden Kompetenzen im Erwachsenenalter geschaffen. Daran haben
der DVV, seine Landesverbände und die Volkshochschulen hohen Anteil: mit neu
entwickeltem professionellem Unterrichtsmaterial, innovativen Unterrichtsformen
und neuen Lernorten. Im vhs-Lernportal mit derzeit 3 Mio. Lernenden-Accounts
können nicht nur Deutschkenntnisse erworben, sondern auch systematisch Lesen und
Schreiben trainiert werden. Und im Projekt "vhs-Lerntreff im Quartier" haben
seit 2023 bereits 14,5 Prozent der Volkshochschulen dafür gesorgt, dass Menschen
direkt vor ihrer Haustür besser lesen, schreiben, rechnen lernen und sich in
anderen grundlegenden Fertigkeiten verbessern können.
Wenn die Alphadekade 2026 ohne Anschlussinitiative ausläuft, stehen die
erzielten Fortschritte auf dem Spiel. Dabei steigen die Anforderungen in Alltag
und Beruf kontinuierlich. Die Digitalisierung macht gute Lese- und
Schreibkenntnisse nicht überflüssig, sondern noch wichtiger als bisher. In der
agilen Arbeitswelt sind Schlüsselkompetenzen wie die Fähigkeit, Probleme
systematisch anzugehen und zu lösen, unverzichtbar. Mündige Verbraucher*innen
müssen sich im Netz auskennen, und der Erhalt der Demokratie erfordert
Bürger*innen mit Informationskompetenz. "Der denkbar schlechteste Moment, um in
der Alphabetisierung und Grundbildung die Segel zu streichen!", warnt
DVV-Direktorin Julia von Westerholt. "Wir brauchen eine Regelförderung der
bewährten Lernangebote, sonst fallen leistungsschwache Menschen in Deutschland
noch weiter zurück".
Pressekontakt:
Deutscher Volkshochschul-Verband e. V.
Sabrina Basler, Referentin Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 0049 228 97569 26, mailto:basler@dvv-vhs.de
Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/120024/6112036
OTS: Deutscher Volkshochschul-Verband
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