Stuttgart (ots) - Welcher Weg ist der richtige im Umgang mit Waschbären? Diese
Frage diskutierte der Sprecher für Natur-, Artenschutz- und Jagdpolitik der
FDP/DVP-Fraktion, Klaus Hoher am Donnerstag (11. September) mit Dr. Dorian D.
Dörge (Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Integrative
Parasitologie und Tierphysiologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main), Dr.
Christian Fiderer (stellvertretender Leiter der Wildforschungsstelle des Landes
und Referent für Ornithologie und Neozoen) und Ulrich Pfeffer (Stadtjäger,
Präsident Verband für urbanes Wildtiermanagement e.V.) im Rahmen eines Webtalks:
Dr. Dorian D. Dörge führte aus, dass um den Waschbären zahlreiche Mythen und
Fehlinformationen kursieren: "Häufig wird zum Beispiel behauptet, die Bejagung
von Waschbären führe zu verstärkter Vermehrung. Dies ist eine völlige
Fehlinterpretation einer 35 Jahre alten Studie aus den USA. Ebenso haltlos ist
die Annahme, dass Waschbären in einem 'Matriarchat' leben, das durch Jagd
gestört werde. Solche Mythen und Fehlinformationen, die leider auch von den
Medien unüberprüft verbreitet werden, verhindern notwendige Schutzmaßnahmen und
gefährden damit bedrohte heimische Arten. Wir dokumentieren einen dramatischen
Rückgang sensibler Arten in Gebieten mit hoher Waschbärdichte." Hinzu komme,
dass viele Menschen den Waschbären als besonders sympathisch betrachteten. Es
sei wissenschaftlich belegt, dass diese positive Wahrnehmung sogar dazu führt,
dass notwendige Maßnahmen zur Populationskontrolle schwieriger oder sogar gar
nicht umgesetzt werden. "Wir müssen den gesetzlich verankerten Artenschutz
konsequent umsetzen und dürfen diesen nicht einer einseitigen Fokussierung auf
den Tierschutz charismatischer Tiere unterordnen. Es sind alle Landesregierungen
in der Verantwortung, es kann nicht auf die einzelnen Jäger abgewälzt werden,
dass sie sich ehrenamtlich und ohne Unterstützung für eine Eindämmung der
Population einsetzen. Es wurde viel zu lange gewartet, seit 2005 hat sich die
Zahl der Waschbären in der Bundesrepublik vervierfacht. Bevor Vergrämungsmittel
großflächig Nutzen bringen, muss der Bestand deutlich reduziert werden und auch
kontinuierlich bejagt werden um fehlende natürliche Prädatoren auszugleichen ",
forderte Dr. Dörge.
Dr. Christian Fiderer erläuterte die Situation des Waschbären in
Baden-Württemberg: "Ursprünglich in Nordamerika beheimatet, wurde der Waschbär
durch den Menschen zur Pelzgewinnung nach Europa eingeführt. Gemäß geltender
Naturschutzgesetzgebung wird der Waschbär auf nationaler und europäischer Ebene
als invasive Art eingestuft. Mittlerweile hat sich der Waschbär bei uns im Land
rasant ausgebreitet, vor allem im Nord-Osten. Wie viele Waschbären bei uns
leben, das kann man allerdings nicht sagen. Die Jagdstrecke gibt aber einen
Hinweis auf die Entwicklung der Population. So wurden im Jagdjahr 2022/23
landesweit 6.322 Waschbären erlegt, im Jagdjahr 2024/25 waren es 9.174 Tiere.
Die Zahlen zeigen demnach einen klaren Anstieg. Dabei lassen sich 60 Prozent
aller Abschüsse im Jagdjahr 2024/25 dem Ostalbkreis, dem Rems-Murr-Kreis und dem
Landkreis Schwäbisch Hall zuordnen. Geht es um das Management müssen wir klar
zwischen dem ländlichen und dem urbanen Raum unterscheiden. Im ländlichen Raum
kann und soll der Waschbär laut Landesjagdgesetz von der Jägerschaft vor allem
zum Schutz der Biodiversität bejagt werden. Im urbanen Raum, also im befriedeten
Bezirk ist dies nicht möglich und auch nicht zielführend, hier setzen wir als
erstes auf Präventionsmaßnahmen und Beratung, um Mensch-Wildtier-Konflikte zu
vermeiden oder zu lösen. Wenn diese scheitern, dann steht als zweite Stufe die
Entnahme. Dazu haben wir im Land ein in Deutschland einmaliges System.
Wildtierbeauftragte beraten und koordinieren in den Landkreisen und
Stadtjägerinnen und Stadtjäger agieren dann vor Ort in den Gemeinden. Jeder
Gemeinde ist hierfür die Möglichkeit gegeben, Stadtjägerinnen und Stadtjäger
einzusetzen. Wir setzen an der Wildforschungsstelle auch daran an,
Forschungslücken zu schließen und innovative Methoden zu entwickeln. Wichtig ist
dabei auch der Austausch mit anderen Ländern, denn der Waschbär ist ein
europäisches Problem. Letztlich wird sich der Waschbär nicht mehr aus unserem
Ökosystem vertreiben lassen, das heißt wir müssen Methoden und Strategien
entwickeln, um ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Wildtier zu
ermöglichen."
Von seinen Erfahrungen mit dem Waschbären als Stadtjäger berichtete Ulrich
Pfeffer: "Die rasante Vermehrung des Waschbären ist nicht nur eine Bedrohung für
die heimische Artenvielfalt. Wir haben im Siedlungsraum eine stetig steigende
Anzahl an Mensch-Wildtier-Konflikten. Waschbären dringen in Schuppen, Häuser und
Dachböden ein, hinterlassen Urin und Kot, verursachen Lärm und richten teils
massive Gebäudeschäden an. Wer einmal Bekanntschaft mit einem Waschbären auf dem
eigenen Dachboden oder im Garten gemacht hat, der weiß um die enormen
wirtschaftlichen Schäden. Wir müssen den Waschbären im Siedlungsraum managen,
aber das können wir unter der aktuellen Jagdgesetzgebung nicht. Diese ist
ausgelegt auf die Jagd im Revier. Wir müssen aber mehr eingreifen. Personell
sind wir Stadtjäger aber bereits völlig überlastet mit der Anzahl an Hilferufen
von Bürgern. Wir sind täglich mit der Fallenkontrolle beschäftigt. Rechtlich
haben wir keinerlei Möglichkeiten Jagdhelfer einzusetzen. Wir brauchen mehr
Freiheiten, weniger Bürokratie, eine angepasste Gesetzgebung der Jagd und
weniger Kosten."
Klaus Hoher forderte: "Die Landesregierung stellt den Waschbären über den
Artenschutz für Muscheln, Krebstiere, Unken oder Singvögel und Fledermäuse, weil
er in großen Teilen der Bevölkerung aufgrund seiner niedlichen Erscheinung
beliebt ist. Konkretes Handeln schiebt sie seit Jahren auf die lange Bank,
Managementmaßnahmen gibt es nur auf dem Papier und sie scheiterten in der
praktischen Umsetzung. Die verheerenden Folgen sehen wir ganz real in und um
Laichgewässer im Rems-Murr-Kreis. Hier wurden Amphibienreste zahlreicher
Individuen dokumentiert, die eindeutig auf Waschbärfraß zurückzuführen sind. Es
braucht eine Artenschutzpolitik ohne ideologische Scheuklappen. Wir müssen die
Menschen ehrlich über den Waschbären aufklären, denn gesellschaftliche Akzeptanz
ist notwendig für eine effektive Populationskontrolle in Bereichen, in denen der
Waschbär eine erhebliche Gefährdung und möglicherweise sogar das Aussterben
heimischer Arten verursachen kann. Um die Umsetzung dauerhaft sicherzustellen,
braucht es eine zeitgemäße Jagdgesetzgebung, Rechtssicherheit für Stadtjäger im
urbanen Raum und einen angemessenen strukturellen und finanziellen Rahmen, der
dem Aufwand der Stadtjäger im urbanen Raum und der Jäger im ländlichen Raum
gerecht wird. Es kann auch nicht sein, dass betroffene Bürger auf den Kosten für
die Schadensbeseitigung oder den Einsatz eines Stadtjägers sitzen bleiben. Hier
muss das Land für unbürokratische Entschädigung sorgen. Kurzum - wir brauchen
eine faktenbasierte, effektive Waschbärstrategie im Umgang mit dem invasiven
Tier".
Pressekontakt:
Dr. Jan Havlik
Pressesprecher der FDP-Landtagsfraktion BW
071120639013
mailto:jan.havlik@fdp.landtag-bw.de
Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/180721/6117871
OTS: FDP/DVP-Fraktion Baden-Württemberg
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