Berlin (ots) - Am 25. März 2025 verhandelte das Bundesverfassungsgericht die
Klage eines Juristen aus Nordrhein-Westfalen gegen die in der
Bundesnotarverordnung festgelegte Altersgrenze von 70 Jahren für Notar*innen.
Zur Einschätzung hatte das Gericht Stellungnahmen von
Alterswissenschaftler*innen erbeten, unter anderem vom Deutschen Zentrum für
Altersfragen (DZA). Heute verkündete das Bundesverfassungsgericht das Urteil:
Die Altersgrenze für Anwaltsnotar*innen ist unzulässig; die mit der Verfassung
unvereinbar erklärten Regelungen der Bundesnotarordnung sind nur noch bis zum
30. Juni 2026 anwendbar.
In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes heißt es: "Der
Gesetzeszweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt
nachlassende Leistungsfähigkeit von Notarinnen und Notaren zu schützen, wird
durch die Altersgrenze ebenfalls nur zu einem geringen Grad erreicht. In den im
Verfahren abgegebenen alternswissenschaftlichen Stellungnahmen wird
übereinstimmend hervorgehoben, dass der kognitive Alterungsprozess stark
individuell geprägt ist und im Notarberuf keine verallgemeinerungsfähigen
Zusammenhänge zwischen dem Lebensalter und der beruflichen Leistungsfähigkeit
bestehen. [...] Diesen Gegebenheiten wird die Altersgrenze nicht gerecht, indem
sie sämtliche Amtsträger mit dem siebzigsten Lebensjahr ausschließt, ohne dass
deren persönliche Disposition berücksichtigt wird."
Damit findet in der Entscheidung auch die Stellungnahme des DZA zur Altersgrenze
im Notarberuf Berücksichtigung. In der Stellungnahme wird herausgearbeitet, dass
bei der Bewertung der kognitiven Fähigkeiten zwischen kristalliner und fluider
Intelligenz unterschieden werden muss. Die kristalline Intelligenz umfasst
Fähigkeiten und Kenntnisse, die stark auf Erfahrungen beruhen und die im
Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Sie nimmt tendenziell bis ins höhere Alter
zu oder bleibt zumindest stabil. Mit Blick auf den Notarberuf wären das zum
Beispiel Rechtswissen, Erfahrungswissen und Verhandlungsgeschick. Bei der
fluiden Intelligenz dagegen geht es vor allem darum, wie schnell Informationen
im Hier und Jetzt verarbeitet werden können - etwa um komplexe juristische
Sachverhalte zügig zu erfassen. Aus der Forschung wissen wir, dass die fluide
Intelligenz im Mittel schon ab der dritten Lebensdekade abnimmt. Darüber hinaus
spielen bei der Arbeit von Notar*innen natürlich auch sprachliche Fähigkeiten
eine wichtige Rolle - von denen ist bekannt, dass sie im Alter stabil bleiben.
Steigendes Erfahrungswissen und stabile sprachliche Fähigkeiten stehen somit
einer sinkenden Verarbeitungsgeschwindigkeit im Alter gegenüber. Sollte uns das
im Hinblick auf die Berufsfähigkeit älterer Notar*innen Sorgen machen?
Keineswegs, denn Menschen unterscheiden sich sehr stark in ihrem kognitiven
Alterungsprozess. Verallgemeinernde Zweifel an der Berufstauglichkeit ab 70
Jahren sind daher unbegründet. Und selbst wenn sich in Labortests Alterseinbußen
in der kognitiven Leistung zeigen, spiegeln sich diese nicht 1:1 in unserer
Alltagsleistung wider - Laboraufgaben unterscheiden sich doch recht deutlich von
den Aufgaben einer Notarin oder eines Notars. Hinzukommt, dass Alterseinbußen in
der kognitiven Leistung durch Expertise kompensiert werden können. Diese
Kompensationsstrategien können umso erfolgreicher eingesetzt werden, je größer
die sogenannte kognitive Reserve einer Person ist. Da sich unter anderem höhere
Bildung und ein kognitiv anregender Lebensstil positiv auf diese kognitive
Reserve auswirken, kann vermutet werden, dass gerade Notar*innen besonders lange
leistungsfähig bleiben.
Dr. Jenna Wünsche, Autorin der Stellungnahme des DZA, folgert daraus: "Die
empirische Forschung liefert keine Hinweise darauf, dass ab einem bestimmten
Alter kognitive Leistungseinbußen die berufliche Leistungsfähigkeit von
Notar*innen substanziell beeinträchtigen könnten. Vielmehr deuten die Studien
darauf hin, dass die kognitive Alterung stark individuell geprägt ist und dass
es keine konsistenten Zusammenhänge zwischen Alter und beruflicher Leistung
gibt. Sicherlich gibt es auch nachvollziehbare Gründe für die Festlegung einer
Altersgrenze im Notarberuf - die Forschung zur kognitiven Alterung bietet jedoch
keinerlei Rechtfertigung für eine starre Altersgrenze. Insofern begrüßen wir die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts."
Die vollständige Stellungnahme des DZA ist nachzulesen unter:
https://www.dza.de/detailansicht/altersgrenze-fuer-notarinnen
Pressekontakt:
Stefanie Hartmann
Deutsches Zentrum für Altersfragen
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
https://www.dza.de/presse.html
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Tel.: 030 / 260 740 25
Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/131425/6123765
OTS: Deutsches Zentrum für Altersfragen
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