Stuttgart (ots) - Zahlreiche Experten aus Verwaltung, IT-Branche sowie
interessierte Bürgerinnen und Bürger folgten am Freitag (26. September) der
Einladung des digitalpolitischen Sprechers der FDP/DVP-Fraktion, Daniel Karrais
nach Stuttgart, um gemeinsam mit Alexander Handschuh (Beigeordneter, Deutscher
Städte- und Gemeindebund, IT-Planungsrat, Berlin), Thomas Bönig (Amtsleiter,
Chief Digital Officer, Chief Information Officer, DO.IT-Amt für Digitalisierung,
Organisation und IT, Stuttgart) und Andreas Majer (Stabstellenleiter
Internationale und nationale Beziehungen, Komm.ONE) die Herausforderungen und
Wege der digitalen Verwaltung von morgen zu diskutieren:
Daniel Karrais eröffnete die Diskussion: "Demokratie lebt davon, dass
Bürgerinnen und Bürger dem Staat vertrauen und sich auf dessen
Funktionsfähigkeit verlassen können. Das ist aber nur der Fall, wenn die
Verwaltung funktioniert. Unser Land hat keine Zeit mehr abzuwarten. Wir müssen
Schluss machen mit der Zettelwirtschaft. Baden-Württemberg braucht
Digitalisierung. Schon jetzt steht die Verwaltung kurz vor dem Zusammenbruch.
Jede fünfte Personalstelle fällt in den kommenden zehn Jahren weg. Demographie
macht auch vor Verwaltung nicht halt. Verschärft wird diese Situation durch die
aktuelle weltpolitische Lage. Wir müssen die Verwaltung vollständig
digitalisieren und die digitale Souveränität in die eigene Hand nehmen. Dazu
gehören eine Souveränitäts-Strategie und eine Risikofolgenabschätzung für
eingesetzte Software. Wichtig ist die Fortführung der Multi-Cloud-Ansätze, die
den schnellen Austausch von Anbietern ermöglichen. Der Staat muss in der Lage
sein, digitale Werkzeuge nach seinen Bedürfnissen zu gestalten, ohne fremde
Kontrolle, aber auch ohne sich aus Angst vor Abhängigkeit selbst zu blockieren.
So schaffen wir ein digitales Ökosystem, das handlungsfähig, innovationsfähig
und vertrauenswürdig ist. Damit schaffen wir Freiräume für digitale
Eigenverantwortung und technologische Spitzenleistung 'Made in
Baden-Württemberg'".
Alexander Handschuh meinte: "Deutschland steht nicht gut da bei der
Verwaltungsdigitalisierung. Der Rückstand wird immer größer. Wir müssen
aufpassen, dass wir nicht noch schlechter werden. Wir haben Digitalisierung
jahrelang falsch verstanden, beispielsweise bei der Umsetzung des
Online-Zugangsgesetzes (OZG), wo wir Lösungen entwickelt haben ohne sie
durchgehend digital zu denken. Deswegen erleben wir heute bei den
Online-Services nur eine 'Pdfisierung' von Verwaltungsanträgen, die am Ende
ausgedruckt werden müssen. Das Ganze hat zwei Ursachen, einmal die vielen
Akteuren und die fehlende Verantwortung und Zuständigkeit bei Bund und Ländern.
Wir brauchen Digital-Only. Das heißt nicht Online-Only. Es muss weiterhin
analoge Anlaufstellen geben, aber der Prozess im Hintergrund muss digital
laufen. Wir können es uns nicht mehr länger erlauben Doppelstrukturen zu
kultivieren, in den nächsten zehn Jahren fällt jede fünfte Personalstelle in der
Verwaltung weg. Wir müssen technische Standards definieren und diese verbindlich
umsetzen. Um leistungsfähig zu bleiben, führt aktuell kein Weg an den
Hyperscalern vorbei. Aber es liegt in unserer Hand, die Voraussetzungen zu
schaffen, dass wir nicht nur auf einen Anbieter setzen. Perspektivisch müssen
wir alternative Angebote auf den Markt bringen, das muss unser Anspruch sein in
Sachen digitale Souveränität."
Die Sicht aus der Kommunalverwaltung brachte Andreas Majer ein:"Deutschland
liegt im EU-Vergleich gerade einmal auf Platz 21, was die digitale Verwaltung
angeht. In Baden-Württemberg haben wir sogar eine Digitale Nutzungslücke von 37
Prozent. Wir müssen Lösungen liefern, die den Kommunen helfen, effizient zu
arbeiten. Andere Länder wie Dänemark sind uns da weit voraus. Es gibt eine
elektronische ID und ein Bürgerportal, so kann man zum Beispiel ganz einfach
einen Wohnortwechsel organisieren. Ein anderes Beispiel ist Estland. Jedes Kind
bekommt dort mit der Geburt eine digitale Identität, Leistungen wie Kindergeld
etc. laufen dann automatisiert. Wir brauchen hierzulande ein völlig neues
Mindset: Einfach machen. Das bedeutet auch bei der Umsetzung von EU-Vorschriften
wie dem Datenschutz diese pragmatisch umzusetzen und sie nicht noch durch
Gold-Plating komplizierter zu machen. Außerdem müssen wir dringend für eine
resiliente Dateninfrastruktur sorgen. Hier ist die Komm.ONE ein ganz wichtiger
Faktor. In Sachen digitale Souveränität müssen wir bei der Selektion von
Anbietern und Lieferanten einen kritischen Maßstab anlegen und systematisch in
Richtung Qualität prüfen."
"Es gibt keine digitale Verwaltung in Deutschland. Das OZG ist nichts anderes
als digitalisiertes Papier, das den Aufwand in vielen Fällen für die Behörden
erhöht und Bürgerinnen und Bürger oft überfordert. Es ist wirtschaftlich nicht
zielführend, dass jede Kommune ihre Sachen selbst machen muss.", meinte Thomas
Bönig . Er forderte: "Wir brauchen eine zentrale Plattform, die alle wichtigen
Prozesse beinhaltet und die die Kommunen nutzen können. Das gibt es aber weder
auf Bundes- oder Landesebene. Dabei machen es andere Länder wie Dänemark oder
Österreich längst vor. Wir müssten also nicht einmal das Rad neu erfinden, aber
auf Landes- und Bundesebene gibt es für Digitalisierung kein nachhaltiges
Verständnis. Auch finanziell ist das ein Desaster. Was wir auch nicht mehr
haben, ist Zeit. Wir müssen in den kommenden Jahren in der Lage sein mit weniger
Personal die gleiche Aufgabenmenge zu bewältigen. Das geht nicht ohne
Digitalisierung. Anstatt Probleme müssen wir Lösungen diskutieren. Die Kommunen
haben nicht mehr das Geld und das Personal für ein 'Weiter So'. Wir müssen
Verwaltung neu denken, auch in Bezug auf die Gesellschaft."
"Der Ursprung unserer Verwaltung stammt aus Kaisers Zeiten", schlussfolgerte
Daniel Karrais. Der digitalpolitische Sprecherforderte eine Verwaltungsreform
für Baden-Württemberg, mit dem Ziel die zahlreichen Mehrfachstrukturen abzubauen
und eine schlanke, aber dafür umso schlagkräftigere Verwaltung zu bilden: "Wir
müssen Verwaltung grundlegend neu denken und die Digitalisierung im Land zur
Chefsache machen. Es braucht eine umfassende Modernisierungsagenda, die klare
Zuständigkeiten definiert und Silodenken aufbricht. In Kompetenzzentren müssen
wir Know-How bündeln und damit die Qualität und Zuverlässigkeit der Verwaltung
verbessern. Dies entspannt am Ende auch die Personalsituation und vereinfacht
und beschleunigt die Bewältigung von Aufgaben. Ein echter Gamechanger wäre das
Verbot für den Staat, dass er Informationen abfragt, die er bereits hat.
Verfahren müssen 'Digital-Only' ausgestaltet sein, sonst stören Ausdrucke und
Briefe beim schneller und besser werden. Die Bereitschaft der Menschen, digitale
Lösungen zu nutzen, ist da. Die Menschen wollen einen funktionierenden Staat und
erwarten dazu zurecht eine digitale Verwaltung."
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OTS: FDP/DVP-Fraktion Baden-Württemberg
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