Potsdam (ots) - Im Kalten Krieg standen sich zwei deutsche Armeen gegenüber und
doch kam es 1984/85 in Afrika zu einem historischen Moment der Zusammenarbeit:
Bundeswehr und Nationale Volksarmee (NVA) beteiligten sich gleichzeitig an einem
internationalen Hilfseinsatz gegen den Hunger in Äthiopien. Eine neue
Sonderausstellung im MHMBw Berlin-Gatow erinnert daran.
Politik, Propaganda und Pragmatismus
Mitte der 1980er-Jahre befand sich Äthiopien in einer tiefen Krise: Neben einer
schweren Dürre trugen Bürgerkrieg, Misswirtschaft und die politischen
Verhältnisse zur Hungerkatastrophe bei. Das äthiopische Regime unter Mengistu
Haile Mariam ließ gezielt die Bevölkerung in bestimmten Regionen hungern.
Dennoch akzeptierte es - aus machtpolitischem Kalkül - humanitäre Hilfsangebote
aus Ost und West. So leisteten erstmals Bundeswehr und NVA gleichzeitig in einem
Land humanitäre Hilfe. Auf Seiten der DDR war auch die staatliche
Fluggesellschaft "Interflug" beteiligt. Ihren jeweiligen Einsätzen lag offiziell
weder eine gemeinsame Koordination noch Planung zugrunde. Beide Seiten agierten
formal unabhängig voneinander unter dem Mandat der Vereinten Nationen (UN). Auf
denselben Flugfeldern, mit ähnlichen Maschinen und angesichts der Not entstand
eine stille Form der Zusammenarbeit - geprägt von gegenseitigem Respekt und
pragmatischem Handeln zweier ideologischer Gegner.
Militärlogistik gegen den Hunger
Die topografischen Bedingungen in Äthiopien erforderten robuste
Lufttransportmittel. Nur mit militärischen Flugzeugen und Hubschraubern war es
möglich, Hilfsgüter in abgelegene Regionen zu bringen. Bundeswehr und NVA
setzten auf bewährte Transportflugzeuge und trainierte Crews. Zusätzlich
entwickelte die Bundeswehr ein neues Verfahren zum Abwerfen von Hilfsgütern aus
niedrigster Höhe. Trotz aller politischen Spannungen zwischen Ost und West
ermöglichte diese Zusammenarbeit eine effektive Hilfeleistung. Die Bundeswehr
zog aus dem humanitären Einsatz Erfahrungen, die auch Ausbildung und Ausrüstung
künftiger deutscher Hilfsmissionen prägten. Erfahrungen aus Äthiopien flossen in
Konzepte der militärischen Katastrophenhilfe ein. Zugleich stellte sich die
Frage nach der Rolle von NGOs, westlicher Außenpolitik und der
Instrumentalisierung von Hilfe. In einem Bürgerkriegsland mit sozialistischer
Diktatur war Neutralität kaum möglich. Auch die UN gerieten in ein Spannungsfeld
aus Moral, Macht und Machbarkeit.
Live Aid und öffentliche Aufmerksamkeit
Die internationale Aufmerksamkeit für das Leid in Äthiopien erreichte mit dem
Benefizkonzert "Live Aid" im Sommer 1985 ihren Höhepunkt. Bob Geldofs Initiative
sammelte ca. 100 Millionen US-Dollar an Spenden, doch bis heute ist umstritten,
wie wirksam ihre Hilfe war und wer letztlich davon profitierte. Die bereits
laufenden Einsätze von Bundeswehr und NVA gerieten dabei in den Hintergrund. In
Äthiopien selbst fand der militärische Hilfseinsatz kaum Eingang in die
kollektive Erinnerung. Auch in Deutschland ist der Hilfseinsatz heute
weitestgehend vergessen. Gerade deshalb ist die Berliner Ausstellung des MHMBw
der Bundeswehr Gatow ein wichtiges Erinnerungszeichen.
Ein vergessenes Kapitel militärischer Hilfe
Die Sonderausstellung des MHMBw auf dem Flugplatz Berlin-Gatow trägt den Titel
"Äthiopien ´84/85. Hunger - Hilfe - Kalter Krieg". Auf rund 3.000 Quadratmetern
im Außenbereich erwartet die Besucherinnen und Besucher eine eindrucksvolle
Inszenierung mit historischen Transportflugzeugen wie der Transall C-160 und der
Antonow An-26. Das begehbare Modell des Bundeswehr-Camps in Dire Dawa, ein
eigens entwickeltes Videospiel zur Logistik des Abwurfs von Hilfsgütern und eine
Tribüne mit "Live Aid"-Atmosphäre vermitteln eindrucksvoll das Spannungsfeld von
Not, Engagement und Weltpolitik.
Die Gesprächspartner
Stefan Kontra M.A. ist Historiker am Militärhistorischen Museum der Bundeswehr
in Berlin-Gatow und leitet dort den Bereich Ausstellungen. Er ist Projektleiter
der aktuellen Sonderausstellung. Daniel Schmiedke M.A. ist Historiker am
Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Berlin-Gatow. Er arbeitet seit
vielen Jahren als Kurator und ist Projektverantwortlicher für den Aufbau eines
Zeitzeugenarchivs. Moderator ist Michael Gutzeit, Leiter der Informationsarbeit
des ZMSBw.
Die Podcast-Folge können Sie auf der Website des ZMSBw (https://zms.bundeswehr.d
e/de/mediathek/bundeswehr-und-nva-katastrophenhilfe-aethiopien-1984-1985-5987136
) hören.
Pressekontakt:
Oberstleutnant Michael Gutzeit
Leiter der Informationsarbeit
Telefon: 0331 9714 400
mailto:ZMSBwPressestelle@bundeswehr.org
Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/171701/6126938
OTS: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bu
ndeswehr
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