Berlin (ots) - Mit wenigen Worten hat Friedrich Merz (CDU) eine große Frage
aufgeworfen: Wer gehört in Deutschland dazu, und wer gilt noch immer als
Fremder? Auf einer Pressekonferenz in Potsdam sagte der Bundeskanzler im
Zusammenhang mit der Strategie gegen die AfD: "Wir haben natürlich immer im
Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch
dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen."
Diese Aussage stellt die Zugehörigkeit zu Deutschland all jener infrage, die
hier geboren sind, hier leben, arbeiten und Steuern zahlen - und trotzdem als
"Problem" markiert werden. Worte wie diese sind keine Nebensache, kein
Ausrutscher. Sie stehen im Raum, auch wenn sie später nicht im offiziellen
Protokoll des Bundespresseamtes auftauchten. Sie sind gehört worden. Und sie
wirken.
Menschen mit einer anderen Hautfarbe als "Problem im Stadtbild" zu sehen, ist
schlicht Rassismus. So werden Millionen von Menschen in Deutschland verletzt.
Mehr noch: Ihnen wird Angst gemacht. Angst, weil sie zeigen, dass Herkunft,
Hautfarbe oder religiöse Zugehörigkeit noch immer darüber entscheiden, wer in
diesem Land als "deutsch genug" gilt.
Denn was sollen die Worte "dieses Problem im Stadtbild" heißen? Wer ist gemeint?
Menschen mit dunklerer Haut? Frauen mit Kopftuch? Männer mit Bart? Familien, die
eine andere Sprache sprechen? Wenn das "Problem im Stadtbild" nach
Äußerlichkeiten definiert wird, dann ist das nichts anderes als eine Politik
nach Gesichtern und damit eine Absage an das Grundgesetz, das die Gleichheit
aller Menschen garantiert.
Nimmt man Merz beim Wort, müssten all jene, deren Aussehen "Unbehagen"
verursacht, die Bundesrepublik verlassen. Dann könnten morgen keine
Krankenhäuser mehr arbeiten, keine Züge mehr fahren, keine Pflegeheime mehr
öffnen. Die Realität ist: Gelungene Integration fällt per definitionem nicht
auf. Sie zeigt sich im Alltag - in den Menschen, die längst Teil dieses Landes
sind, aber von manchen Politikern immer wieder unsichtbar gemacht werden.
Ich frage mich: Störe ich Sie auch, Herr Merz? Ich laufe schließlich mit einem
Kopftuch herum. Bin ich Teil des "Problems im Stadtbild"? Oder bin ich einfach
eine Bürgerin dieses Landes, die hier lebt, liebt, arbeitet und hofft, dass ihr
Kind in einem Deutschland aufwächst, das Vielfalt nicht als Makel begreift?
Besonders perfide ist, dass Merz' Worte Beifall von der falschen Seite fanden.
Der AfD-Politiker Bernd Baumann postete dazu vier Fotos: betende Muslime vor dem
Brandenburger Tor, eine "Happy Ramadan"-Beleuchtung - als Symbol dessen, was
Merz angeblich meinte. Wer solche Bilder als "Problem" bezeichnet, entlarvt
nicht die Zuwanderung, sondern seine eigene Intoleranz.
Die Bundesregierung versuchte später zu beschwichtigen. Regierungssprecher
Stefan Kornelius meinte, es werde "zu viel hineininterpretiert". Merz habe sich
nicht ausgrenzend, sondern ordnungspolitisch geäußert. Doch Sprache schafft
Realität. Und wenn der Begriff "Stadtbild" zum Code für Migration, Religion und
Hautfarbe wird, dann ist das keine Ordnungspolitik. Das ist Stimmungspolitik.
Denn ein Land, das Menschen nach ihrem Äußeren sortiert, verliert nicht sein
Stadtbild, sondern sein moralisches Gesicht.
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