Hamburg (ots) - Ein über eine Leihmutter-Agentur bestelltes Baby eines deutschen
Paares hat in Argentinien Ermittlungen wegen des Verdachts des Menschenhandels
und der Ausbeutung ausgelöst. Die Recherchen des NDR für das neue investigative
Doku-Format der ARD "team.recherche" rekonstruieren in "Wenn Babys zur Ware
werden - das Leihmutter-Business" den Fall von Ruby*- und geben Einblicke in
einen milliardenschweren und weitgehend unregulierten Markt.
Heike und Claude hatten sich nach einem Besuch auf der Kinderwunsch-Messe "Wish
for a Baby" für eine Agentur entschieden, die Leihmutterschaft in Argentinien
anbietet. Das deutsche Paar, das zu diesem Zeitpunkt schon über 50 Jahre alt
war, zahlte umgerechnet fast 50.000 Euro. Zum Vergleich: In den USA, wo
Leihmutterschaft in einigen Bundesstaaten streng geregelt ist, kostet ein Kind
aus Leihmutterschaft etwa viermal so viel.
Leihmutterschaft in der Grauzone
Obwohl Leihmutterschaft in Deutschland verboten ist, dürfen Agenturen hier über
die Möglichkeiten im Ausland informieren. Wenn dann Kinder in anderen Ländern
zur Welt kommen, erkennen deutsche Behörden sie in der Praxis unter bestimmten
Voraussetzungen an. Nach Recherchen von "team.recherche" bieten einige Agenturen
Wunscheltern jedoch auch Möglichkeiten an, die rechtliche Graubereiche ausnutzen
oder offenbar illegal sind.
Auch im Fall von Ruby verstießen die beteiligten Agenturen offenbar gegen
geltendes Recht, wie Recherchen des NDR nun zeigen. Rubys Leihmutter Alejandra
M. gibt im Interview mit "team.recherche" an, dass sie 10.000 Dollar,
umgerechnet etwa 8.600 Euro, in bar bekommen habe. Dabei ist in Argentinien
Leihmutterschaft gegen Bezahlung laut Staatsanwaltschaft verboten. Man habe ihr
am Handy Anweisungen gegeben, dass sie auf die Straße kommen und in ein Auto
steigen solle, um die Bezahlung zu erhalten. Die Entscheidung für die
Leihmutterschaft habe sie aus finanzieller Not getroffen, erklärt die
alleinerziehende Mutter: "Ich war in einer schwierigen Situation. Ich brauchte
Geld", sagt Alejandra M.
Ermittlungen gegen ein internationales Netzwerk
Die Staatsanwaltschaft geht von einem weit verzweigten Netzwerk aus, in dem
Agenturen, Kliniken, Rechtsanwälte und Notare zum Nachteil der Leihmütter
agierten. Die Behörden vermuten, dass Argentinien ein neuer Hotspot für das
internationale Leihmuttergeschäft werden sollte. Zur Verschleierung hoher
Millionenbeträge und zur Umgehung von lokalen Gesetzen sei es wahrscheinlich,
dass die Agenturen Offshore-Firmen etwa auf Zypern gegründet hätten.
Auch der Agenturmitarbeiter Carlos Leiva, der für den Ruby-Fall zuständig war,
ist ins Visier der Staatsanwaltschaft gerückt. Leiva lebt in Spanien und soll
hier bereits ausgesagt haben. Gegenüber "team.recherche" erklärt er, nichts
falsch gemacht zu haben. "Es gibt kein Gesetz, das Leihmutterschaft in
Argentinien verbietet oder erlaubt", also sei alles in Ordnung gewesen. Darüber
hinaus habe die Leihmutter Alejandra M. keinen kommerziellen Vertrag
unterschrieben, sondern nur eine Einverständniserklärung. Gegen ihn und andere
ermittelt nun die argentinische Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des
Menschenhandels und der Ausbeutung; insgesamt in 48 Fällen, in denen Agenturen
Kinder aus Leihmutterschaft an ausländische Paare vermittelt haben sollen.
Auch das deutsche Paar Heike und Claude wurde von Leiva offenbar nicht
ausreichend beraten. "team.recherche" liegt ein Dokument vor, wonach er den
beiden mitteilte, Geburtsurkunde und argentinischer Pass würden ausreichen, um
die Elternschaft des deutschen Paares zu belegen. Doch bei einem Arztbesuch in
Deutschland zweifelten Mitarbeitende einer Klinik offenbar an dieser
Elternschaft - wohl auch, weil das Mädchen nur einen argentinischen Pass besaß.
Heike habe zudem ein sehr unsicheres Verhalten mit dem Säugling gezeigt. Das
Jugendamt nahm das Kind daraufhin wegen des Verdachts der Kindeswohlgefährdung
in Obhut.
Das Thema Leihmutterschaft wird im aktuellen Koalitionsvertrag nicht
ausdrücklich behandelt. Auf Nachfrage des NDR teilte das Familienministerium
außerdem mit, man habe sich bislang noch nicht mit den Ergebnissen der unter der
vorherigen Ampelregierung eingesetzten Kommission beschäftigt.
"team.recherche" ist ein investigatives Doku-Format der ARD für die Mediathek.
Junge Reporter-Teams von BR, MDR, NDR, SR, SWR und WDR liefern monatlich
exklusive Recherchen mit starkem Storytelling. Im Fokus stehen die Recherchen zu
gesellschaftlich relevanten Themen - spannend und nah erzählt. Federführer der
Formatredaktion sind BR und SWR.
Die "team-recherche"-Doku "Wenn Babys zur Ware werden - das Leihmutter-Business"
ist ab sofort in der ARD Mediathek verfügbar: https://www.ardmediathek.de/film/Y
3JpZDovL25kci5kZS80ODc4IDkzNTU2NGQ0LWJkMjAtNGVmNS1iZGFmLWExMzZiODg3NWFkZQ
Mehr zum Thema am Dienstag, 21. Oktober um 21.15 Uhr bei "Panorama 3" und am
Donnerstag, 23. Oktober um 21.45 Uhr bei "Panorama" im Ersten.
*Name geändert
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