Mainz (ots) - Das Landeskrankenhaus in Andernach rechnet nach einer
SWR-Recherche für dieses Jahr mit einem Verlust von rund 14 Millionen Euro. Wie
die Klinikleitung dem SWR mitteilte, wäre es der bislang höchste Verlust des
Unternehmens.
Der Aufsichtsrat teilte dem SWR mit, man werde in dieser Woche zu einer
Sondersitzung zusammenkommen, "um die aktuelle finanzielle Lage weiter zu
analysieren und weitere Schritte zu besprechen." Wie die aussehen sollen, ist
unklar. Kündigungen seien nicht geplant, so das Landeskrankenhaus.
Die Klinikleitung führt das historische Minus auf die finanziell schwierige Lage
aller Krankenhäuser zurück. Auf Anfrage heißt es: "Wie fast alle Krankenhäuser
bundesweit muss sich auch das Landeskrankenhaus den Rahmenbedingungen der nicht
auskömmlichen Finanzierung stellen."
Mitarbeiter, die sich anonym an den SWR gewandt haben, sehen das anders. Sie
sagen, der drohende Rekordverlust sei nur zum Teil durch die allgemein
schwierige Lage der Krankenhäuser zu erklären. Die wesentliche Ursache sei der
Verlust von Managementkompetenz. In den vergangenen zwei Jahren hätten rund 20
Führungskräfte das Unternehmen verlassen. Darunter unter anderem eine ärztliche
Direktorin, kaufmännische Direktoren, Bereichsleiter, ein Pflegedirektor, eine
Heimleiterin usw. berichten die Mitarbeiter. Die Betroffenen hätten jeweils seit
mindestens 10 Jahren im Unternehmen gearbeitet, teilweise sogar mehr als 25
Jahre, heißt es.
Der SWR hat dazu im Landeskrankenhaus nachgefragt. Die Geschäftsleitung spricht
von "natürlicher" Fluktuation. Der Aufsichtsrat teilt mit, dass man sich zu
Personalangelegenheiten nicht äußere.
Die Mitarbeiter, die sich anonym an den SWR gewendet haben, sagen, Ursache für
das Ausscheiden der Führungskräfte sei in fast allen Fällen Frust über den
Geschäftsführer Alexander Wilhelm. Inzwischen seien auch konkrete Vorwürfe gegen
Wilhelm an den Aufsichtsrat weitergeleitet worden.
Der SWR hat dazu bei Alexander Wilhelm nachgefragt. Er teilte mit: "Wenn solche
Vorwürfe im Raum stehen, habe ich als Geschäftsführer grundsätzlich ein großes
Interesse daran, dass diese schnell ausgeräumt werden."
Darüber hinaus hat der SWR beim Aufsichtsrat nachgefragt. Vorsitzende des
Gremiums ist Nicole Steingaß (SPD), Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen
Gesundheitsministerium. Die dortige Pressestelle äußerte sich nicht dazu, um
welche Vorwürfe es sich handelt, bestätigte aber, dass den Aufsichtsrat anonyme
Vorwürfe gegen Wilhelm erreicht hätten. Man sei derzeit dabei, die Vorwürfe zu
prüfen. "Wir bitten um Verständnis, dass zu der laufenden Prüfung derzeit keine
weiteren Aussagen getroffen werden können. Im Übrigen gilt, dass Personalien
auch auf Ebene der Geschäftsführung nicht kommentiert werden.?
Der Vertrag des Geschäftsführers Alexander Wilhelm läuft im Mai kommenden Jahres
aus. Ob er nach den Vorwürfen und dem drohenden Rekordverlust überhaupt
verlängert wird, ist offen. Die Aufsichtsratsvorsitzende Steingaß teilt auf
SWR-Anfrage mit, "Aufsichtsrat und Geschäftsführung arbeiten gut und
vertrauensvoll zusammen und werden rechtzeitig über eine Vertragsverlängerung
entscheiden". Ein klares Bekenntnis zur Fortsetzung des Vertrags sieht anders
aus.
Sehr zurückhaltend äußert sich der Vorgänger von Alexander Wilhelm, Gerald Gaß.
Er hatte das Landeskrankenhaus etwa 13 Jahre geführt und wurde 2021
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Gaß teilte dem SWR
auf Anfrage mit, "die Vorwürfe gegen Alexander Wilhelm kommentiere ich nicht".
Rückendeckung sieht anders aus.
Brisant: Wilhelm wurde 2021 unter fragwürdigen Umständen Geschäftsführer des
Landeskrankenhauses: https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/schwarzbuch-b
und-der-steuerzahler-rlp-gewaehrt-spitzenbeamten-sonderurlaub-bis-zur-pension-10
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Er wurde damals als Staatssekretär beurlaubt, um den lukrativen Job als
Geschäftsführer zu übernehmen (rund 240.000 Euro Grundvergütung mit
erfolgsabhängiger Vergütung). Nach Ansicht des Landesrechnungshofs ist das
rechtswidrig. Die Staatskanzlei dagegen hält den "Sonderurlaub" für rechtmäßig
und sagt, sie habe eine andere Rechtsauffassung als der Rechnungshof
Vom rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium hieß es damals: "Das Land
Rheinland-Pfalz geht davon aus, dass es davon profitieren wird, dass das
Landeskrankenhaus von dem vorübergehend beurlaubten Staatssekretär geführt wird
und er - nach Beendigung der Beurlaubung - diese Kompetenz wieder in die
Landesregierung einbringt."
Die bisherige Bilanz des beurlaubten Staatssekretärs: Rund 20 Führungskräfte
haben das Unternehmen verlassen und das Landeskrankenhaus macht in diesem Jahr
seinen voraussichtlich größten Verlust.
Hintergrund I
Das Landeskrankenhaus ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und nach eigenen
Angaben der größte Betreiber von Krankenhäusern für psychisch kranke Menschen in
Rheinland-Pfalz. Das Landeskrankenhaus beschäftigt nach eigenen Angaben an rund
30 Standorten etwa 5.400 Mitarbeiter. Zum Unternehmen gehören mehrere Kliniken
unter anderem in Alzey, Mainz, Meisenheim und Bad-Kreuznach.
Hintergrund II
Dass allein in den vergangenen 12 Monaten, 11 Führungskräfte das
Landeskrankenhaus verlassen haben, will die Aufsichtsratsvorsitzende nicht
kommentieren. Der Aufsichtsrat nehme keine Stellung zu einzelnen
Personalangelegenheiten, da diese der Vertraulichkeit unterliegen, teilt das
Gesundheitsministerium mit und verweist auf die Geschäftsführung des
Krankenhauses. Die teilt mit: "Das Landeskrankenhaus beschäftigt rund 5.400
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an rund 30 Standorten in Rheinland-Pfalz. Bei
einer Organisation dieser Größe ist es selbstverständlich, dass es
kontinuierlich personelle Veränderungen und natürliche Fluktuationen gibt. Die
Fluktuation im Haus bei der Gesamtzahl der Mitarbeitenden entspricht aktuell dem
üblichen Maß auch an Wechseln zwischen Wettbewerbern."
Deutlich kritischer dagegen die Einschätzung von Reinhard Belling. Er ist
Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger psychiatrischer
Krankenhäuser in Deutschland. Zu den Mitgliedern gehört auch das
Landeskrankenhaus. Belling sagte dem SWR, "wenn eine größere Zahl an
langgedienten Führungskräften geht, dann sollte man sich Gedanken machen, ob in
der Unternehmenskultur etwas schiefgelaufen ist."
Belling sagt, es sei bekannt, dass Führungswechsel bei Mitarbeitern
Verunsicherung auslösen. Wenn es dann innerhalb kurzer Zeit gleich mehrere
Führungswechsel gebe, führe das automatisch zu großer Unruhe bei den
Beschäftigten. Zudem sei es schwieriger, zu führen. "Wenn man ein Unternehmen
nach vorn bringen will, braucht man eine gemeinsame Überzeugung, wohin man will,
wie man Herausforderungen anpackt. Eine hohe Fluktuation macht das schwierig."
Und neue Mitarbeiter zu finden wird dann auch zur Herausforderung. "Bei einer so
hohen Fluktuation muss man sich fragen, wie attraktiv man noch als Arbeitgeber
für Bewerber ist.", so Belling.
SWR / Reporter: Gernot Ludwig
Zitate bei Angabe der Quelle "SWR" frei.
Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/7169/6143249
OTS: SWR - Südwestrundfunk
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