Hamburg (ots) - Russland schützt seine Atomwaffen in der Arktis mit einem
Unterwasser-Spähsystem, für das Spitzentechnologie aus EU-Staaten wie
Deutschland sowie aus den USA beschafft wurde. Das zeigt das internationale
Rechercheprojekt "Russian Secrets", an dem aus Deutschland NDR, WDR und
Süddeutsche Zeitung beteiligt sind.
Die Recherche zeigt anhand von erlangten Finanzunterlagen, Gerichtsdokumenten
und Informationen aus Sicherheitskreisen erstmals das Ausmaß des
Firmennetzwerks, über das russische Geschäftsleute im Westen Technik beschafft
haben. Mehr als zehn Jahre lang - bis mindestens Herbst 2024 - importierten
russische Firmen demnach Waren aus zehn europäischen Ländern sowie aus den USA,
Kanada und Japan.
Im Zentrum dieses russischen Beschaffungsnetzwerks steht die Firma Mostrello
Commercial Limited auf Zypern. Sie gehört einem Moskauer Geschäftsmann, der im
Bereich der Unterwassertechnik tätig ist. Mehrere ihm zuzuordnende Firmen haben
in der Vergangenheit mehrfach für das russische Militär und für russische
Nachrichtendienste gearbeitet. Der Recherche zufolge haben Mostrello und mehrere
Schwester-Unternehmen seit 2013 sensible Unterwassertechnik und
Forschungsschiffe im Wert von mehr als 50 Millionen Dollar erworben.
Die Güter wurden Unterlagen zufolge nach Russland verbracht und wurden dort -
zumindest teilweise - für den Bau eines Spähsystems mit dem Projektnamen
"Harmonie" (übersetzt aus dem Russischen) benutzt. Dabei handelt es sich um ein
Unterwasser-Sensoriksystem in der Barentssee, das westliche U-Boote aufspüren
kann. "Harmonie" soll das strategisch bedeutsame russische Atomwaffenarsenal in
der Arktis schützen. Öffentlich einsehbaren Dokumenten zufolge hat eine für das
Unternehmensnetzwerk zentrale russische Firma einen Vertrag mit dem
Rüstungskonzern Kometa abgeschlossen. Dieser soll für den Bau von "Harmonie"
verantwortlich sein. Weder Mostrello noch die russische Regierung haben bislang
auf Anfragen geantwortet.
Mostrello kaufte den Informationen zufolge im Jahr 2015 in Norwegen Geräte beim
staatlich kontrollierten Rüstungskonzern Kongsberg. Bei der britischen Firma
Forum Energy Technologies Ltd. wurde im Jahr 2014 ein Unterwasserroboter vom Typ
Mohican bestellt, der in Tiefen von bis zu 3000 Metern arbeiten kann. Kongsberg
erklärte auf Nachfrage, man habe sich rechtmäßig verhalten und nicht gegen
geltendes Recht verstoßen. Forum Energy Technologies Ltd. antwortete zunächst
nicht auf eine Anfrage.
Vor Ausbruch des Ukrainekriegs 2022 waren Geschäfte mit Russland
sanktionsrechtlich nicht verboten, solange EU-Firmen nicht wissentlich das
Militär beliefert haben. Die Recherche liefert keine Hinweise dafür, dass die
Unternehmen gewusst hätten, dass die Geräte in Russland womöglich für
militärische Zwecke eingesetzt werden könnten. Das gilt auch für deutsche
Unternehmen, die in den Unterlagen auftauchen.
Der Recherche zufolge erhielten die Norddeutschen Seekabelwerke (NSW) in
Nordenham zwischen 2013 und 2019 rund 15 Millionen Dollar für Geschäfte mit
Mostrello. Dazu gehörte die Lieferung von Telekommunikations-Kabeln. Die Firma
ließ eine detaillierte Anfrage unbeantwortet. Ein Sprecher der Konzernmutter
Prysmian im italienischen Mailand teilte mit, NSW habe lediglich "Standardkabel
für (...) zivile Zwecke" verkauft, hierbei habe sich NSW an alle geltenden
Gesetze gehalten.
Auch die Innomar GmbH aus Rostock hat den Unterlagen zufolge im Jahr 2015 ein
leistungsstarkes Sonargerät an Mostrello geliefert. Innomar bestätigte den
Vorgang und die Installation auf einem nicht näher benannten russischen Schiff.
Die Firma erklärte, dass man Exporte im Vorfeld genau prüfe, und dass das
fragliche Sonar damals keinen Beschränkungen unterlegen habe. Weitere Verkäufe
an Mostrello habe es nicht gegeben.
Die EU hat die Regeln für Exporte nach Russland seit dem Jahr 2014 mehrfach
verschärft. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gelten besonders strikte
Regeln. Auch nach Februar 2022 wurde das "Mostrello-Netzwerk" den Recherchen
zufolge aus Deutschland beliefert. Im September 2025 wurde ein
kirgisisch-russischer Geschäftsmann vor dem Landgericht Frankfurt am Main zu
einer fast fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er Geschäfte mit Mostrello
gemacht und dabei gegen das deutsche Außenhandelsgesetz verstoßen haben soll.
Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft
Revision eingelegt. In der Anklage war festgehalten worden, dass Mostrello
Technik besorgt hat, um das "Harmonie"-Spähsystem mit Strom versorgen zu können
und das Senden von Signalen zu ermöglichen.
Das "Mostrello-Firmennetzwerk" hat neben Geräten und Kabeln in den vergangenen
Jahren auch mehrere Spezialschiffe erworben, darunter die Aquarius und die
Aurelia einer Bremer Reederei. Der Reeder Christoph Hempel bestätigte den
Verkauf und erklärte, man habe sich dabei an alle gesetzlichen Vorgaben
gehalten.
Die Recherche kann den vermutlichen Standort des geheimen
"Harmonie"-Unterwasser-Systems bestimmen. Die Spur der im Westen beschafften
Schiffe und Geräte führt in die arktische Barentssee, wo "Harmonie" offenbar
bogenförmig im Gewässer vor Murmansk, Nowaja Semlja und Alexandraland
installiert ist. Wichtige Hinweise dafür ergab die Auswertung der automatischen
Positionsdaten der Schiffe, die dem "Mostrello-Netzwerk" zugeordnet werden.
Darüber hinaus wurden Satelliten-Daten und Social-Media-Fotos von Arbeitern, die
offenbar auf den Schiffen unterwegs waren, verifiziert und analysiert.
Der EU-Sanktionsbeauftragte David O'Sullivan erklärte im Interview mit dem
ARD-Magazin "Panorama", Russland habe "äußerst raffinierte und clevere Wege
gefunden, unsere Sanktionen zu umgehen". O'Sullivans Appell richtet sich deshalb
an die Mitgliedsstaaten und die Wirtschaft, ein solches System zum Umgehen der
Regeln möglichst zu verhindern: "Wir müssen genauso klug und entschlossen daran
arbeiten, das zu verhindern, wie die Russen klug und entschlossen darin sind, es
aufzusetzen", sagt O'Sullivan.
Der "Russian Secrets"-Recherche liegen Unternehmensdaten der vergangenen Jahre
zugrunde, die das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ)
erhalten hat. Weitere Unterlagen lagen der Recherchekooperation
NDR/WDR/Süddeutsche Zeitung und dem niederländischen TV-Magazin Pointer vor. An
den Recherchen waren Journalistinnen und Journalisten von Le Monde (Frankreich),
L'Espresso (Italien), ICIJ (USA), Kyodo (Japan), NRK (Norwegen), Pointer
(Niederlande), SVT (Schweden), The Times (Großbritannien), Washington Post
(USA), NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung (Deutschland) beteiligt.
Die Rechercheergebnisse werden international veröffentlicht und sind u.a. auf
tagesschau.de einsehbar. Die "Russian Secrets"- Recherchen werden unter anderem
im ARD-Magazin "Panorama" (23.Oktober, Das Erste, 21.45 Uhr) und im
tagesschau-Podcast "11km" ausgespielt.
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