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 Kassel (ots) - Inzwischen ist er über 100 Jahre alt - vor vier Jahren hätte man
ihn für einen Gedenktag gehalten, der an Geschichte erinnert. Doch seit dem
Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine im Februar 2022 ist der Krieg nach
Europa zurückgekehrt.
 Das ist der vierte Volkstrauertag, an dem wir nicht nur den Toten der
vergangenen, sondern auch der gegenwärtigen Kriege gedenken.
 
 Der erste Volkstrauertag ist auf den 5. März 1922 datiert. Das Datum im März mag
verwundern, denn heute wird er als einer der wenigen staatlichen Feiertage im
November begangen. Er steht in der Reihe der stillen Feier- und Gedenktage -
Allerheiligen, Allerseelen, Totensonntag. Doch was war der Anlass seiner
Gründung? Wie hat er sich in den 100 Jahren seiner Existenz verändert?
 
 Volkstrauertag als Zeichen der Solidarität
 
 Eingeführt hat den Volkstrauertag der 1919 gegründete Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge zum Gedenken an die Kriegstoten des Ersten Weltkrieges. Der
Volksbund ist eine nichtstaatliche, humanitäre Organisation, die sich
größtenteils aus Spenden finanziert.
 
 Die Gründung hatte einen traurigen Anlass: Nach dem Ersten Weltkrieg wollten
Angehörige wissen, wo ihre Männer und Söhne, ihre Brüder und Väter geblieben
waren. Zumindest wollten sie Gewissheit haben, wo die Gräber lagen, um einen
Platz zum Trauern zu finden.
 
 Der Volkstrauertag sollte ein Zeichen der Solidarität: derjenigen, die keinen
Verlust zu beklagen hatten, mit denen, die um Gefallene trauerten. Bereits im
November 1921 hatte der Volksbund einen Ausschuss ins Leben gerufen, der sich
mit dem Thema eines nationalen Gedenktages beschäftigte.
 
 Ein ideelles Mahnmal
 
 Der Volksbund lehnte damals den Bau eines großen Ehrenmals ab. Er empfahl als
ideelles Mahnmal einen säkularen Gedenktag, der - losgelöst von den kirchlichen
Gedenktagen im November - vorranging dem Gedenken der gefallenen
Weltkriegssoldaten gewidmet sein sollte.
 
 Der Volkstrauertag sollte nicht nur die Trauer und die Vergangenheit, sondern
einen Aufbruch in eine neue bessere Zukunft symbolisieren. Deshalb plädierte der
Volksbund dafür, diesen Gedenktag in den Frühling zu legen. Aus dieser Symbolik
des "deutschen Frühlings" nach dem Winter sollte ein nationaler Aufbruch
abgeleitet werden.
 
 Unsere Welt hat die Liebe not...
 
 Die erste offizielle Feierstunde fand 1922 im Deutschen Reichstag in Berlin
statt. Der damalige Reichstagspräsident und SPD-Abgeordnete Paul Löbe hielt eine
im In- und Ausland vielbeachtete Rede, denn er stellte einer Gegenwart voller
Feindseligkeiten den Gedanken an Versöhnung und Verständigung gegenüber. "...
Leiden zu lindern, Wunden zu heilen, aber auch Tote zu ehren, Verlorene zu
beklagen, bedeutet Abkehr vom Hass, bedeutet Hinkehr zur Liebe, und unsere Welt
hat die Liebe not..."
 
 Ein Komitee, dem neben Kulturschaffenden, Glaubensgemeinschaften,
Hilfsorganisationen und dem jüdischen Frauenbund zahlreiche weitere
Organisationen angehörten, hatte unter Federführung des Volksbundes erreicht,
dass der Volkstrauertag in den meisten Ländern des Reiches gemeinsam begangen
wurde.
 
 Die Organisationen der sozialistischen Arbeiterschaft, der Allgemeine Deutsche
Gewerkschaftsbund und der Reichsbund deutscher Kriegsbeschädigter standen dem
ablehnend gegenüber, denn sie befürchteten, dass dieser Tag zu nationalistischen
Feiern benutzt werden könnte. Ihre Bedenken sollten sich bestätigen: Die
Veranstaltungen zum Volkstrauertag wurden in den Folgejahren immer stärker von
martialischen Reden, militärischer Symbolik und nationalen Mythisierungen
geprägt.
 
 Der "Heldengedenktag"
 
 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt: ein Schicksalsjahr für die
Deutschen. Besser gesagt, ein Schicksalsschlag - aber im doppelten Wortsinn -
ein selbstgewählter.
 
 1934 bestimmte das neue nationalsozialistische Regime per Gesetz den
Volkstrauertag zum Staatsfeiertag und "Heldengedenktag". Nun flatterten die
Fahnen nicht mehr auf Halbmast, sondern wurden voll gehisst.
 
 Im November 1936 schrieb Propagandaminister Joseph Goebbels in seinen
Tagebüchern, dass das Trauern eingeschränkt werden müsse, es sei "so ganz und
gar unnationalsozialistisch".
 
 Die Träger des "Heldengedenktages" waren von da an die Wehrmacht und die NSDAP.
Die Richtlinien über Inhalt und Ausführung erließ der Reichspropagandaminister.
Entsprechend martialisch war die Ausstrahlung der Veranstaltungen - bis zum
bitteren Ende 1945.
 
 Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr
 
 Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland erinnerte der Volksbund, der rasch
nach dem Krieg in den drei westlichen Besatzungszonen die Arbeit wieder
aufgenommen hatte, an den Volkstrauertag. 1950 wurde er erstmals neben vielen
regionalen Veranstaltungen mit einer Feierstunde im Plenarsaal des Deutschen
Bundestages begangen.
 
 Der Termin wurde nach einer Übereinkunft zwischen der Bundesregierung, den
Ländern und den großen Glaubensgemeinschaften auf den vorletzten Sonntag im
Kirchenjahr (evangelisch) beziehungsweise den 33. Sonntag im Jahreskreis
(katholisch) verlegt.
 
 Historische Themen erschreckend aktuell
 
 Die Formen des Gedenkens veränderten sich mit der gesellschaftlichen
Modernisierung der Bundesrepublik. Gleiches gilt für das Totengedenken: Anfangs
nahm das Totengedenken ausschließlich die gefallenen Weltkriegssoldaten in den
Blick, heute wird an dieser Stelle aller Opfer von Krieg und Gewalt gedacht.
 
 Pressekontakt:
 
 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Pressesprecherin Diane Tempel-Bornett
+49561-7009-139
mailto:presse@volksbund.de
 
 Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/18238/6148942
OTS: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
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