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Göttingen (ots) - Steigende Bewerbungszahlen und der Rückzug großer Konzerne
sorgen in vielen mittelständischen Unternehmen für Entspannung. Doch hinter der
scheinbaren Ruhe verbergen sich strukturelle Verschiebungen. Wer diese Phase
nicht nutzt, riskiert, in den kommenden Jahren an Wettbewerbsfähigkeit zu
verlieren.
Ein Moment der Entspannung und seine Kehrseite
In den Personalabteilungen vieler mittelständischer Unternehmen macht sich
derzeit vorsichtige Erleichterung breit. Nach Monaten angespannter Arbeitsmärkte
steigen die Bewerbungszahlen in einigen Regionen wieder leicht an. Gleichzeitig
kündigen große Konzerne Einstellungsstopps, Umstrukturierungen oder Stellenabbau
an. Was lange wie ein permanenter Kampf um jede Bewerbung wirkte, scheint sich
zu entspannen.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Zwar
nimmt die Zahl der Bewerbungen zu, die Eignung der Bewerbenden bleibt jedoch
häufig gering. Nach einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung lag der Anteil der von kleinen und mittleren Unternehmen als
passend bewerteten Bewerbungen zuletzt bei unter 30 Prozent, trotz regional
steigender Bewerberzahlen.
Personalverantwortliche berichten zudem von Bewerbungsunterlagen, die wenig
Engagement erkennen lassen. Lebensläufe wirken häufig schematisch, Gespräche
zeigen, dass sich viele Bewerbende kaum mit dem Unternehmen auseinandergesetzt
haben. Hinzu kommen teils hohe Erwartungen an Vergütung und Arbeitsbedingungen,
die in keinem Verhältnis zur Vorbereitung oder Eignung stehen.
"Der Markt ist komplexer, als viele Unternehmen ihn derzeit wahrnehmen", sagt
Heiko Weiland, Geschäftsführer der auf Arbeitgeberentwicklung spezialisierten
Vertriebskiste Consulting GmbH. "Viele Bewerbende wechseln aktuell aus Mangel an
Alternativen, nicht aus Überzeugung. Unternehmen, die als Arbeitgeber nicht klar
positioniert sind, ihre Kultur nicht sichtbar machen und keine verlässlichen
Perspektiven bieten, sehen deshalb häufiger kurzfristige Wechsel als
langfristige Bindung."
Wenn Zurückhaltung als Entlastung missverstanden wird
Parallel zur leichten Belebung des Bewerbermarkts beobachten viele
Geschäftsführer, dass auch die Sichtbarkeit großer Arbeitgeber derzeit abnimmt.
Konzerne wie Bosch, VW oder Bayer melden Stellenabbau, Restrukturierungen und
Investitionszurückhaltung. Für manche mittelständische Betriebe entsteht daraus
der Eindruck, der Wettbewerbsdruck lasse nach.
Tatsächlich verlagern viele Großunternehmen ihre Aktivitäten derzeit nach innen.
Während sie nach außen weniger präsent sind, modernisieren sie interne
Strukturen, digitalisieren Prozesse und bereiten sich auf veränderte
Marktbedingungen vor. Investitionen in neue Technologie, Employer Branding und
KI-gestützte Arbeitsabläufe laufen häufig im Hintergrund.
"Solche Phasen werden von Konzernen gezielt genutzt, um sich auf die nächste
Marktphase vorzubereiten", sagt Weiland. "Wenn sie wieder aktiver werden, tun
sie das meist mit höherer Effizienz und einer stärkeren Präsenz."
Strukturelle Engpässe in den Personalabteilungen
Im Mittelstand zeigt sich der strukturelle Rückstand besonders deutlich in den
Personalabteilungen. Die dort Verantwortlichen arbeiten mit hohem Engagement,
stoßen jedoch häufig an systemische Grenzen. Viele Prozesse sind historisch
gewachsen, wenig integriert und oft stark von manueller Arbeit geprägt.
Zwar nutzen nach einer Erhebung des Digitalverbands Bitkom rund 58 Prozent der
mittelständischen Unternehmen digitale Recruiting-Tools. Allerdings geben nur 19
Prozent an, den Bewerbungsprozess ganzheitlich digital abzubilden.
Bewerbermanagementsysteme dienen häufig primär der Ausschreibung von Stellen,
während interne Abstimmungen, Kommunikation und Onboarding weiterhin
fragmentiert ablaufen.
"In vielen Unternehmen existieren mehrere Einzellösungen parallel, ohne dass sie
aufeinander abgestimmt sind", sagt Weiland. "In der Praxis zeigt sich dann, dass
unter anderem Onboarding-Checklisten ausgedruckt oder Arbeitszeugnisse von
Führungskräften in Word-Dokumenten vorbereitet werden. Das bindet Kapazitäten
und erhöht die Belastung in den HR-Teams."
KI verändert Erwartungen auch im Recruiting
Hinzu kommt die wachsende Bedeutung künstlicher Intelligenz. Während große
Unternehmen KI bereits produktiv in verschiedenen HR-Bereichen einsetzen, zeigt
sich der Mittelstand häufig zurückhaltend. Einzelne Anwendungen werden getestet,
eine strategische Einbettung in bestehende Prozesse bleibt jedoch oft aus.
Laut einer PwC-Studie aus dem Jahr 2024 nutzen rund zwei Drittel der
DAX-Unternehmen KI in mindestens einem HR-Anwendungsfeld. Im Mittelstand liegt
der Anteil bei etwa 20 Prozent, meist im Pilotstadium.
Für Unternehmen bedeutet der gezielte Einsatz von KI vorwiegend eines:
Entlastung. Administrative Aufgaben können reduziert werden, Abläufe
beschleunigen und Kapazitäten in den HR-Teams freisetzen. Dadurch entsteht Raum
für qualitative Arbeit - für intensive Gespräche, eine gezieltere Auswahl und
persönliche Begleitung im gesamten Bewerbungsprozess.
Gleichzeitig wirkt der technologische Reifegrad auch nach außen. Für Bewerbende
wird im Bewerbungsprozess schnell sichtbar, wie strukturiert, verbindlich und
zeitgemäß ein Unternehmen arbeitet. Reaktionsgeschwindigkeit, Klarheit in der
Kommunikation und konsistente Abläufe beeinflussen, wie attraktiv und
innovationsfähig ein Arbeitgeber wahrgenommen wird. Entscheidend ist dabei nicht
der Einsatz einzelner Tools, sondern das Zusammenspiel funktionierender
Prozesse.
"KI ersetzt keine Menschen", sagt Weiland. "Sie verändert, wie Arbeit
organisiert wird. Administrative Aufgaben können reduziert werden, Abläufe
werden stabiler und Personalressourcen können dort eingesetzt werden, wo sie
Wert schaffen. Für viele Unternehmen wird Personal damit nicht länger zum
Engpass, sondern zu einem Faktor, der weiteres Wachstum ermöglicht."
Eine Phase mit begrenztem Handlungsspielraum
Die eigentliche Herausforderung für den Mittelstand liegt weniger im aktuellen
Bewerbermarkt als in der besonderen Konstellation, die sich derzeit ergibt.
Politische Unsicherheit, wirtschaftlicher Druck und regulatorische Anforderungen
zwingen große Unternehmen dazu, sich neu aufzustellen. Investitionen werden
überprüft, Budgets priorisiert, Strukturen angepasst.
Für kleine und mittlere Unternehmen entsteht dadurch ein Zeitfenster.
Sichtbarkeit lässt sich aktuell mit vergleichsweise geringem Aufwand aufbauen,
Aufmerksamkeit ist verfügbar, und qualifizierte Fachkräfte kommen neu auf den
Markt. Gleichzeitig ist der Wettbewerb um diese Talente vorübergehend weniger
intensiv als in den vergangenen Jahren.
"Großunternehmen sind derzeit stark mit internen Umstrukturierungen
beschäftigt", sagt Heiko Weiland. "Das verändert die Spielregeln.
Mittelständische Unternehmen können jetzt sichtbarer werden, Reichweite aufbauen
und Menschen erreichen, die sonst kaum wechselbereit wären. Dieses Zeitfenster
ist nicht geplant und es wird sich wieder schließen. Wer es nutzt, verschafft
sich einen Vorsprung. Wer abwartet, trifft später auf deutlich stärkeren
Wettbewerb."
Dann geht es nicht mehr um die Zahl der Bewerbungen, sondern um die
Anschlussfähigkeit an den Markt.
Über den Experten
Heiko Weiland ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens
Vertriebskiste® Consulting GmbH. Mit seinem Team unterstützt er
Mittelstandsunternehmen in der DACH-Region beim Aufbau starker
Arbeitgebermarken, digitaler Recruitingprozesse, KI-basierter Arbeitsabläufe und
zukunftsfähiger Führungskultur.
Pressekontakt:
Vertriebskiste Consulting GmbH
http://www.vertriebskiste.de
Nadine Weiland
mailto:presse@vertriebskiste.de
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OTS: Vertriebskiste Consulting GmbH
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